Urbanes Leben ist schnelllebig, kurzweilig und oft von einer Flut von Eindrücken geprägt. Die Gruppenausstellung der Künstler Roland Doil, René Scheer und Florian Huber zeigt verschiedene Ansätze, gesehene urbane Momente einzufangen und zu verarbeiten. In allen Positionen spielt allerdings das Vergangene und nicht mehr Sichtbare, das den Kompositionen zugrunde liegt, eine große Rolle.
Roland Doil: AMBIVALENTE GEFÜHLE / „THE NAMES HAVE BEEN CHANGED“
Ein levitierendes Schaf in einem düsteren, ärmlich eingerichteten Raum, anscheinend ein Wohnzimmer. Im Hintergrund ein nicht angestellter, alter Röhrenfernseher.
Warum schwebt dieses Schaf? Schläft es oder ist es tot? Ist es ein Traumbild? Ein Standbild aus einem alten Horrorstreifen? Nur die PET Flasche auf dem Tisch zeigt eine gewisse Aktualität der Szenerie.
Das Ausgangsmotiv für dieses Bild war eine Fotografie eines Pensionszimmers, in dem ich einmal übernachtete. Die Einrichtung wirkte, wie aus der Zeit gefallen und ehrlich gesagt, gruselte es mich auch ein wenig. Ich fragte mich, was in diesem Raum schon für merkwürdige, skurrile Sachen passiert sein mögen, doch es war mehr ein Umherschweifen der Gedanken als klare Bilder.
Jahre später stolperte ich über diese alte Aufnahme und die vergangene Zeit wirkte wie ein Katalysator auf meine Erinnerungen. Ich weiß, dass es nicht real war, aber diese merkwürdige Präsenz dieses Raumes hatte sich beim Betrachten des Bildes nach so langer Zeit in mir verselbstständigt. Also habe ich ihn gemalt,… mit einem Zusatz, der die ambivalenten Gefühle die ich zu diesem Ort hege, darstellt, dem roten, schwebenden Schaf.
Florian Huber:Symbols of transcience / Colourful Moments
Ein Haarband, Zigarettenstummel, eine leere Packung Kopfschmerztabletten – Reste einer bereits in die Vergangenheit abgedrifteten Partynacht, in transparentes Epoxidharz eingegossen und so für die Ewigkeit konserviert. Sein und Zeit erhalten hier eine bildliche Entsprechung. Diese zwei Wörter, die der Existenzphilosoph Martin Heidegger in seinem Hauptwerk so eindrucksvoll zusammenbrachte, bilden unsere gesamte menschliche Existenz ab. Und auch unser ewiges Dilemma, mit dem wir umzugehen haben: die Freiheit. Dass unsere menschliche Freiheit regelmäßig zu Krisen führt, die ganze Generationen erfassen und sich zu regelrechten Massenphänomenen auswachsen können, ist das Thema der Werkreihe „Symbols of transcience“. In immer wieder neuen Varianten führen die konservierten Bierdeckel, Kondome oder Agraffen als Symbole einer zunehmend schnelllebigen Partygesellschaft den Moment wie auch seine Vergänglichkeit vor Augen. Denn sie sind Überbleibsel temporären Glanzes und Glamours, den eine Gesellschaft produziert, die von einem Superlativ zum nächsten lebt, eine Ablenkung an die nächste reiht, dem Sein zu entkommen und der Zeit zu entfliehen versucht und dabei die Flüchtigkeit des Moments zum Maßstab der eigenen Lebenszeit macht. Auf seinen Streifzügen durch die Stadt sammelt der Künstler Florian Huber die Überbleibsel der nächtlichen Flucht aus dem alltäglichen Sein und aus der Zeit. Jedes der Objekte erzählt dabei seine eigene Geschichte, die paradoxerweise weit länger dauert, als nur einen Augenblick. Sie dauert so lange, wie das Leben desjenigen, der die Zigarette geraucht oder das Haarband verloren hat….
Auch in seiner Serie der Colourful Moments umzirkelt Florian Huber die Vergänglichkeit des Augenblicks. Überreste der Konsum- und Eventgesellschaft in Form von Luftballongirlanden, die eine Neueröffnung ankündigen, auf einer Party als Dekoration dienen oder Erwachsenen und Kindern beim Spielen Freude bringen, sind das Material der Bildobjekte. Die Luft ist im wahrsten Sinne entwichen – übrig bleibt eine leere Hülle, die ihrerseits neues Potential birgt. Aus den luftleeren Körpern entstehen Kompositionen, geschützt und fixiert durch eine verlockend glänzende Oberfläche aus Gießharz. Die meist monochromen Bildobjekte bewegen sich zwischen Bildhauerei und Malerei und stellen eine überraschende und abstrakte Neuinterpretation des traditionellen Vanitas-Motiv dar. Jede Farbe evoziert dabei beim Betrachter subjektive Resonanzräumen und bringt – je nach Farbakkord – andere Emotionen und Erinnerungen zum klingen.
(Text von Anne Simone Krüger)
René Scheer: „SelfieStencils Networking“ (2018/19 – mindestens 20 Einzelarbeiten)
Menschen haben die Chance sich zu vernetzen sobald sie in Kommunikation treten. Im Analogen vor Ort (Im Beruf, Sportvereinen, Musik- und Theatergruppen etc.), aber auch im Digitalen im Netz („Soziale Netzwerke“, Foren, Dating-Seiten etc. ). Es gibt zwar bis heute „das Analoge“ und „das Digitale“ als einzelne Spots – aber immer mehr und immer weiter ausgeprägt sind die Vernetzungen der Vernetzung. Die WhatsApp Gruppe beim Sportverein, die lokale Ortsgruppe bei Facebook oder das Forum zum Thema „Architektur-Photographie“. Bei den Beispielen verwischen die Grenzen zwischen realer und digitaler Welt – in die eine wie in die andere Richtung. Oft kommen Menschen erst miteinander in Kontakt, wenn sie sich im Netz zu einem der Themen gefunden haben.
Das Analoge und Digitale lässt sich zwar alleine denken, aber es sind immer Menschen, die aufeinander treffen. Daraus extrahiert die Kernidee der Arbeit „SelfieStencils Networking“. Mit den Arbeiten wird das Digitale (das Selfie) in das Reale (dem Stencil) umgewandelt. Im Zweiten Schritt wird dann durch die Aufforderung bei der Ausstellung gerne Fotos zu machen und sie zu Posten oder zu verschicken wieder das Reale ins Virtuelle gespült – das „vor Ort“ wird mit dem „Netz“ gekoppelt.
Die Malgründe für die Stencils bei der Arbeit „SelfieStencils Networking“ sind (alte und kaputte) Handys und Tablets. Diese durch Aufforderungen in den eigenen (analogen und digitalen) Netzwerken beschaffenen Geräte und ebenso die Selfies wurden in der Arbeit verbunden. Der Lack der Sprühdosen wurde direkt auf die Displays der Geräte gesprüht. Es entstanden die mit Schablonen und Spühlacke gearbeiteten Portraits von Menschen aus den Netzwerken des Künstlers. In der Zeit der Arbeit wurde im persönlichen und digitalen über die Idee kommuniziert, die Schritte der Arbeit gezeigt und zum Teil ausgiebig über den Sinn und Unsinn von Selfies gesprochen/geschrieben.
Roland Doil
*1974 in Peine, lebt und arbeitet in Hamburg
2004 Diplomprüfung im Studiengang Illustration/Kommunikationsdesign
1999-2004 Studium Illustration/Kommunikationsdesign an der HAW Hamburg bei Klaus Waschk und Rüdiger Stoye
1996-1999 Studium der freien Kunst mit Schwerpunkt auf der Malerei an der HfbK Dresden bei Elke Hopfe, Siegfried Klotz, Günther Hornig
Ausstellungen (Auswahl)
- 2017 „[NOT] at Home” im Rahmen der Altonale 2017, Hamburg, G
- 2014 „Pathosformeln” im Hamburger Rathaus, Hamburg, G
- 2014 „Bremer Kunstfrühling 2014”, Bremen, G
- 2010 „Key”, vierte monochromatische Ausstellung der Reihe CMYK, Kunstverein 2025, Hamburg, G
- 2010 „Draußen ist es schön, schade dass wir drinnen sind” Frappant e.V. Hamburg, G
- 2008 „My own private Walhalla #2 ” Ausstellung im Kunstverein Westwerk, Hamburg, E
- 2005 „Chrobok und Doil, Malerei kompakt”, SKAM.eV., Hamburg
Florian Huber
*1985 in Trier, lebt und arbeitet in Hamburg
2005 – 2010 Studium der Sozialen Arbeit Hochschule Darmstadt
2001- 2004 Ausbildung zum Forstwirt Wissenschaftsstadt Darmstadt
Seit – 2015 xpon-art Gallery, Hamburg
Mitglied der KünstlerInnengruppe ’feine menchen’
Ausstellungen (Auswahl)
- 2018 Studio27 (Hamburg), What is next – Strukturrealismus, G
- 2018 Hier und Jetzt (Leipzig), Anniversary of an uniteresting Event, E
- 2018 Urbanshit Gallery (Hamburg), Anniversary of an uniteresting Event, E
- 2017 Aktion 2025 (Hamburg), in-visible, Performance
- 2017 – K.i.ö.R.(Chemnitz), Installation am Karl Marx Monument, Einzelwerk
- 2017 – Kulturaggregat (Freiburg), Menschenbild, G 2016 – Kunsthaus (Hamburg), Danke, wir brauchen nichts!, G
- 2015 – Ostrale (Dresden), Handle with care, G
René Scheer
*1974 in Hamburg-Steilshoop, lebt und arbeitet in Hamburg
Nach einer Ausbildung in der Pflege studierte er Geschichtswissenschaft an der Uni Hamburg. Er ist seit über 17 Jahren im Hospiz- und Palliativbereich beschäftigt. Die beiden Bereiche, die Begleitung von schwerstkranken Menschen und die Kunst, bereichern und beeinflussen sich gegenseitig.
Ausstellungen (Auswahl)
- 2018 „Streetart Easter Eggs“ im Alten Zollamt in Hamburg-Rothenburgsort, G
- 2018 X-pon Art Galerie zum Thema „Vermessen“, G
- 2018 Beteiligung und Sprühen eines Wandbildes beim Farbflut-Festival 2018 in Lemwerder/Bremen
- 2018 Beteiligung am Jahresprogramm des „Kunstverein Amrum“
- 2017 „Surfer“ , Madame Hu, E
- 2017 Live-Painting, 3,5×2,5 Meter großes Stencil am Altonaer Museum im Rahmen der „Langen Nacht der Museen“
- 2017 „42“ – Als Mitglied des Clara-Lärm Kollektives, Kottwitzkeller
- 2017 Temporäre Galerie „Kiek Mol“ in Chemnitz mit Florian Huber und Gerald Chors
- 2016 Kooperation mit dem Archäologischen Museum (Helms) in Harburg zur Sonderausstellung “Eiszeiten – Die Kunst der Mammutjäger”
- 2016 21. Kottwitzkeller zum Thema ‚Fehler‘, Installation, Gewinn des Publikumpreises